Haftungsverteilung nach Kollision beim Überholen einer Fahrzeugkolonne

Haftungsverteilung nach Kollision beim Überholen einer Fahrzeugkolonne

Es herrscht in der Bevölkerung ein Irrtum, dass derjenige, der eine Fahrzeugkolonne überholt und mit einem in der Kolonne fahrenden Fahrzeug zusammenstößt, welches ebenfalls zum Überholen angesetzt hat, allein oder zumindest überwiegend haftet.

Der Grund für den Irrtum liegt vermutlich darin, dass das Verbot des Überholens einer Kolonne zunächst denklogisch erscheint. Zunächst sollte das erste hinter dem langsam fahrenden Fahrzeug überholen, bevor die nachfolgenden Fahrzeuge ihrerseits der Reihe nach zum Überholen ansetzten dürfen.

Eine entsprechende Stützte in der Straßenverkehrsordnung ist allerdings nicht vorhanden. Es ist daher grundsätzlich erlaubt, eine Kolonne zu überholen.

Kommt es bei einem wie eben beschriebenen Überholvorgang zu einem Zusammenstoß, muss geprüft werden welcher Teilnehmer welche Haftungsquote zu tragen hat.

Grundsätzlich spricht der erste Anschein dafür, dass derjenige, der als zweites zum Überholen angesetzt hat, den Unfall verschuldet hat. Denn derjenige hat gegen § 5 Abs. IV StVO verstoßen, indem er nicht ausreichend auf den nachfolgenden Verkehr geachtet und diesen mit seinem Überholvorgang gefährdet hat.
Dem Überholer einer Fahrzeugkolonne ist zunächst kein Vorwurf zu machen. Eine Mithaftung kommt allerdings dann in Betracht, wenn der Überholvorgang bei einem bestehenden Überholverbot vorgenommen wurde.

Ein Überholverbot besteht dann, wenn das Überholen durch entsprechende Verkehrszeichen (Zeichen 276, 277) angeordnet war oder eine unklare Verkehrslage bestand.

Wann eine unklare Verkehrslage besteht, ist vom Einzelfall abhängig. Eine unklare Verkehrslage wird in der Regel dann angenommen, wenn für den Überholer nicht klar sein konnte, dass der Überholvorgang gefahrlos möglich ist.

Zudem muss möglicherweise eine erhöhte Betriebsgefahr des Überholers berücksichtigt werden. Hierbei sind sich die Gerichte nicht immer einig, ob die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Überholers hinter dem Verschulden des Zweitüberholers zurückzutreten hat.

Das OLG Karlsruhe hatte bereits im Jahr 2001 entschieden, dass das vom Fahrzeug des Überholers ausgehende Betriebsgefahr gegenüber dem grob schuldhaften Verkehrsverstoß des ausscherenden Fahrzeugs zurücktritt (Urteil vom 08.06.2001 – Az.: 10 U 77/01). Das OLG Rostock hat hingegen in einer vergleichbaren Lage entschieden, dass eine Betriebsgefahr in Höhe von 30% dem Überholenden anzulasten ist (Urteil vom 23.02.2007 – 8 U 39/06).

Die Frage der Haftungsverteilung kann daher nicht pauschal vollständig auf den Zweitüberholenden übertragen werden. Vielmehr muss jeder Einzelfall genauestens analysiert und bewertet werden. Eine solche Analyse sollte von einem Rechtsanwalt mit vertieften Kenntnissen im Verkehrsrecht vorgenommen werden.